Ökologie und Evolution der Flechten im Karn des Germanischen Beckens
Über die Evolution der Flechten ist bisher relativ wenig geschrieben worden. Vorstellungen zu deren Phylogenie, wie etwa bei Church (192.), gründen nicht auf fossile Formen sondern auf vergleichende Betrachtungen zu rezenten Sippen und sind daher weitgehend spekulativ. Das liegt nicht zuletzt auch daran, weil Flechten fossil kaum vorliegen. Hinzu kommt, dass der Flechtenstatus der wenigen Funde, so etwa bei Taylor et al (1995) aus dem Rhynie-chert, nicht bewiesen ist, weil sich die Beschreibung nur auf wenige anatomische Merkmale, wie z.B. Algen-Pilz-Kontakte, stützen kann. Das reicht nicht für den Nachweis einer Flechtensymbiose.
Mit den fossilen Pilzen aus dem Karn Unterfrankens öffnet sich nun ein erstes Fenster in die Entwicklungsgeschichte einer Lebensform, die wir unter Anwendung lichenologischer Kriterien als Flechten bezeichnen können. Diese etwa 220 Mio. Jahre alten Formen zeigen eine so hohe Variabilität in der Anatomie ihrer Lager, dass der Eindruck entsteht, als habe man ein "Experimentierfeld" der Lagerevolution vor sich, an deren Ende die relativ einheitlich hochentwickelte Lageranatomie unserer rezenten Blattflechten steht. Im Karn Unterfrankens ist die "Architektur" der modernen Blattflechte bereits zu erkennen. Daneben existieren aber noch urtümliche, heute ausgestorbene Formen, die mit ihrer Morphologie und Anatomie eine Rekonstruktion der Entwicklungsgeschichte des Blatt-Flechtenthallus ermöglichen.
Dank zahlreicher Publikationen unterschiedlicher Fachrichtungen wissen wir heute relativ viel über die Lebensräume im Germanischen Becken zur Keuperzeit und damit über die Lebensbedingungen, in denen die hier vorgestellten frühen Flechten existierten. Sie waren extrem, vor allem im Hinblick auf Temperatur und Feuchte. Für eine richtige Einschätzung phylogenetischer Trends ist die Kenntnis der Umweltbedingungen, unter denen eine Entwicklung abläuft, unbedingte Voraussetzung. Der fossile Pflanzenmoder, in dem zahlreiche Flechten gefunden werden, bietet dafür günstige Voraussetzungen, weil er Hinweise auf die Lebensbedingungen der Keuperflechten enthält.
In der heutigen Pflanzenwelt spielen Flechten, von bestimmten Regionen abgesehen (Felsregionen der Gebirge, Tundren, arktische Kältewüsten), eine meist unauffällige Rolle. Sie leben überall dort, wo die Höhere Vegetation schwer Fuß fassen kann, meist in Konkurrenz mit Algen, Pilzen und Moosen, auf Felsflächen (epilithisch), an Rinden (epiphytisch) oder am Boden (epigäisch). Bei starker Luftfeuchte können Flechten als Epiphyten hohe Deckungsgrade erreichen, aber insgesamt bleibt ihr Massenanteil an der Gesamtvegetation gering.
Entsprechendes kann nach den bisherigen Aufsammlungen auch für die Zeit des Schilfsandsteins angenommen werden. Das Zahlenverhältnis von Pflanzenkutikeln und Flechtenthalli im fossilen Moder entspricht im Wesentlichen dem heutigen Mengenverhältnis zwischen Höheren Pflanzen und Flechten. Auch zur Keuperzeit waren die Flechten "Lückenbüßer der Höheren Vegetation" und auf Sonderstandorte beschränkt. Sie finden sich oft auf kohligen Resten größerer Pflanzen, was auf eine epiphytische Lebensweise schließen lässt. Mehrmals konnte auf fossilen Flechtenlagern das Muster der Kommissuralfurchen von Equisetites beobachtet werden. Es finden sich Hinweise auf ein epigäisches Wachstum mancher Formen, indem vom kompakten Lager ausgehend ein Hyphenfilz in das umgebenden Sediment hineinreicht, wobei größere Sandkörner von feinen Hyphen umwachsen sind. Häufigste Fundsituation ist die Gemengelage mit Pflanzenkutikeln, das heißt, im fossilen Moder, zusammen mit Moderpilzen, was auf eine saprophytische Lebensweise dieser Flechten hindeutet.
Möglicherweise sind die frühen Flechtenformen noch teilweise oder fakultativ saprophytisch. Dann wäre es gut vorstellbar, dass die Evolution der Symbiose zwischen Pilz und Alge entscheidende Impulse erhält auf periodisch austrocknendem Pflanzenmoder, wie er entlang der Flussoasen des Schilfsandsteins im extrem wechselfeuchten Monsunklima des Germanischen Beckens der Stuttgartformation vielerorts anfällt. Anatomischer Befund und Paläo-Ökologie der Keuperflechten geben zum ersten Mal konkrete, auf Fossilien gestützte Anhaltspunkte für die Phylogenese der Flechtensymbiose. (Eine Abhandlung zu diesem Thema ist in Arbeit).
Flechtenbiotope im Keuper zur Schilfsandsteinzeit: Rinnen- und Flut-Fazies im engen Nebeneinander: Je nach Jahreszeit und Wasserführung gräbt sich der Fluss ein oder er sedimentiert, schüttet Uferwälle auf und durchbricht sie wieder. Nach einem Hochwasser bleiben im Umfeld des Stromes Seen zurück, die ein eigenes Sedimentationsmuster entwickeln (lacustrine Fazies). Mehrere Flechtenstandorte unterschiedlicher Ökologie lassen sich beschreiben: Epigäisch auf Sandbänken am Flussufer, saprophytisch auf angeschwemmten, verwesenden Pflanzenhäckseln (Pflanzenmoder) oder epiphytisch an Sprossen und Stämmen der Ufervegetation, z.B. an Schachtelhalmen. Pflanzenmoder, der am Gleithang mit Sand bedeckt wird, kann zu einer Taphocönose werden, in der sich Flechten aller Standorte fossil erhalten.